Ausschnitt aus " Kaltfleisch III: Knackige Knochen"


Letzte Woche hatten sie eine neue Patientin eingeliefert, deren Nieren nur noch zu zehn Prozent leistungsfähig waren. Hätte man Klara Hiendl unbehandelt ihrem Schicksal überlassen, wäre sie innerhalb weniger Stunden kollabiert. So aber brachte sie die meiste Zeit entweder im Shuttlebus zur Dialyse zu, oder aber in der Dialyse selbst. Wo ihr Blut von all den Giftstoffen gereinigt wurde, die ihre Nieren nicht mehr herausfilterten. Im Heim nannte man sie die Pilgerin, weil sie ständig auf ihrem Leidensweg hin- und herpilgerte wie eine Büßerin. Am schlimmsten waren die Nächte, wenn sie von Koliken geplagt wurde. Das Martyrium Gottes nannte sie es. In der Bastelgruppe malte sie kleine Heiligenbildchen, die sie in ihrem Nachtkästchen sammelte. Eine andere Freude war ihr im Leben nicht geblieben. Doch Jens würde ihr eine im Tod bereiten.
Es war abzusehen, dass es nicht mehr lange dauern konnte. Die Intervalle zwischen den Blutwäschen wurden zunehmend kürzer. Gleichzeitig veränderte sich ihr Gemütszustand. Klara wirkte friedfertig, als hätte sie mit dem Leben abgeschlossen. Und sie wurde immer religiöser. Hielt Zwiegespräch mit ihrem Gott, und drehte einen Rosenkranz in ihren Händen. Ihre Augen bekamen jenen fiebrigen Glanz, wie man ihn entweder bei Kranken fand, oder Pastoren. Sie hatte Gewicht verloren. Als sie ins Hospiz kam, hatte sie Konfektionsgröße 42 getragen. Nun schlotterten ihre esoterischen Leinenkleider an einem Leib, der gut und gerne als magersüchtiges Model durchgegangen wäre. Zu einer unattraktiven Hakennase gesellten sich über Nacht quasi nicht vorhandene Titten, deren Brustwarzen als Garderobenhaken dienten. Jens ging das alles nicht schnell genug. Er tauschte ihre Medikamente gegen harmlose Placebos aus. Wie zu erwarten, verschlechterte sich ihr Zustand dramatisch. Dann bekam sie wieder ihre normalen Wirkstoffe, und blühte kurzfristig auf. Doch so schnell sie aufblühte, umso schneller verblühte sich auch. Jens hatte ihre Tabletten wieder gegen Placebos ausgetauscht. Er genoss das Spiel mit dem Tod. Die Zügel fest in der Hand zu halten. Ruhig, Brauner. Bald ist es vorbei. Sie war angeschwollen. Jens saß kaugummikauend neben ihrem Bett, und drückte ihre Hand. Ihre Nieren füllten sich bis zum bersten mit dem Urin, den sie nicht mehr ablassen konnte. Lagerten Giftstoffe ab, die einem normalen Menschen nichts ausgemacht hätten, aber für sie den Tod bedeuteten. Plötzlich gab es unter der Bettdecke eine Bewegung, als ihre Nieren platzten. Das Fleisch dämpfte die Detonation ein wenig, aber nicht die Schmerzen. Jens musste ihr schon den Mund zuhalten, damit man sie nicht hörte. Organe verschoben sich, ihre Bauchdecke brach ein. Der Glanz in ihren Augen erlosch. Dann brachen alle Dämme. Unter den Laken gluckerte es wie ein defekter Heizkörper, während ihre Blase sich entleerte. Sie starb mit offenen Augen, den Blick starr gegen die Zimmerdecke gerichtet. Wo eine Spinne ihr Netz spann. Hätte Frau Hiendl noch lange hier gelegen, so hätte sich die Spinne an ihrem klebrigen Faden abgeseilt, und ihre Brut in Klaras Mund gelegt. Spinneneier wie Kaviar, die ideale Brutstätte. Jens tauchte aus den Kulissen auf, wie aus einem wunderschönen Tagtraum. Der Geruch erinnerte Jens ans Frühjahr, wenn Mutter Spargel gekocht hatte. Und den Topf über mehrere Tage in der Speisekammer vergessen hatte. Streng und beißend wie das Löwengehege im Zoo Hellabrunn. Ihre natürlichen Pheromone. Das Aroma von Krankheit und Tod.
„Du willst es also schmutzig, du kleines Luder?“
Jens ließ die Gummihandschuhe schnalzen. Hygiene wurde im Kolibri ganz groß geschrieben. Trotzdem konnte er nicht vermeiden, dass er von der gelben Brühe abbekam. Verdammt, das ganze Bett war damit vollgesogen! Langsam verstand Jens, warum Frau Ziegler an der Zimmerausstattung sparte. Man hätte sich vorstellen können, im Hospiz bessere Matratzen vorzufinden als in einem Stundenhotel. Aber dafür wurden sie oft gegen neue ausgetauscht. Unter ihm quietschte und schmatzte es, als würde er eine Schlammgrube vögeln. Es war nicht nur Urin aus ihr herausgelaufen.

*

Jens Gang zur Kleiderkammer glich einem Spießrutenlauf. Er schämte sich, als hätte er selbst in seine Klamotten gepinkelt. Dass es nicht sein Urin war, sah man ihm ja nicht an. Aber im Haus der vielen Tode gehörten Pflegekräfte mit irgendwelchen Körperflüssigkeiten auf dem Wams zum allgemeinen Erscheinungsbild. Seine Dienstkleidung war ein klarer Fall für den Verbrennungsofen. Angewidert knüllte er sie zusammen, und stieg unter die Dusche. Jens duschte kalt, weil es sich mehr nach Grab anfühlte. Seine Nippel verhärteten unter dem eiskalten Wasser. Und nicht nur die.

So, wem ist es jetzt noch nicht schlecht genug? Den passenden Kotzkübel gibt es als Ebook und Taschenbuch.

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