Ausschnitt aus "Christoffer IV Der Lippensammler"
„Was haben Sie mit mir vor?“
„Dir die Behandlung zukommen lassen, die du mir angedacht hattest.“
Mit Grausen erkannte Schambeck sein eigenes Werkzeug in Christoffers Händen. Das Skalpell. Die Neglifräse.
„Fachlich dürftest du mir überlegen sein. Ich bin ein unbedarfter Quereinsteiger, der von Gerichtsmedizin keine Ahnung hat. Meine Schule waren die dunklen Gassen und Waldwege. Bei Mondschein lernte ich woraus der menschliche Körper besteht. Was mir an Präzision fehlte, machte ich durch rohe Kraft wieder wett. Ich zog. Ich zerrte. Ich biss. Schnitt mir den Weg frei. Du hast es also mit einem blutigen Amateur zu tun.“
Schambeck weinte. Sein Schicksal war der Scherenschnitt der Spurenfahnder, mit dem man Tatorte markiert.
„Es könnte weh tun.“
Der Serienmörder wählte eine Verbandsschere mit stumpfer Spitze, um Schambeck aus seiner Kleidung zu schälen. Stoffstreifen um Stoffstreifen landete auf dem Teppichboden. In Unterwäsche lag sein Opfer da. Obwohl die Heizung auf höchster Stufe stand, zitterte der Pathologe wie Espenlaub.
„Du bist mir vollkommen ausgeliefert. Weißt du dass ich dich schlagen könnte? Glühende Zigaretten auf dir ausdrücken? Dich mit einer rostigen Schere zur Frau machen?“
Christoffer markierte den ersten Schnitt mit dem Skalpell. Als Fleisch bist du in die Welt gekommen, und in kleinen Brocken scheidest du aus ihr. Wie ein roter Mund klaffte es auseinander. Schambeck schrie wie am Spieß. Dabei hatte der Spaß erst begonnen.
„Nichts von alledem werde ich tun. Ich führe eine Autopsie durch am lebenden Objekt.“
Als erstes öffnete er den Bauchraum. Rollte Schambecks Darm auf wie eine Wäscheleine. An manchen Stellen riss der Schlauch und eine übelriechende Masse sickerte heraus. Christoffer lernte mehr über den menschlichen Verdauungsapparat als ihm lieb war. Hielt seine Beobachtungen auf einem Notizblock fest, dessen Seiten zusehends unter den Blutmassen zerfaserten. Der Pathologe war ein Haufen Scheiße, wie auch schon die beiden Polizisten. Christoffer sah sich genötigt, die Musik lauter zu drehen. Er hasste Schlager. Und vor allem hasste er Roland Kaiser. Dafür würde Schambeck ihm büßen. Eine normale Obduktion konnte sich über zweieinhalb Stunden ziehen. Christoffer wollte sein Opfer gründlich leiden lassen.
„Mal sehen: Der Patient hatte zum Frühstück nur Kaffee und Zigaretten. Das ist gar nicht gut. Mit dieser Ernährungsweise kommt er nicht weit.“
Weiter und weiter schnitt er den Leib auf. Nun den Brustkorb. Irgendwo musste doch die Seele wohnen? Schambecks Schreie stiegen zu einem schrillen Crescendo an. Christoffer drehte die Anlage lauter um ihn zu übertönen. Kind, was sollen nur die Nachbarn von uns denken?
„Nun weißt du wie es ist. Wenn du auf dem kalten Tisch liegst, und der Fischhändler nimmt dich aus wie einen frisch gefangenen Karpfen.“
Jeder Mensch hat Angst vorm Zahnarzt. Die einen mehr, die anderen weniger. Besonders das Geräusch des Bohrers versetzte sie in Panik. Allein die Vorstellung, jemand fuhrwerkt mit diesem Gerät in deinem Mund, wie ein Bauarbeiter auf der Suche nach der defekten Wasserleitung. Schambeck warf seinen Kopf hin und her, als er die Neglifräse hörte.
„Halt still du Sau!“
Christoffer kniete auf seiner geöffneten Brust. Rippenstücke stachen ihm in den Hintern. Mit seinen Knien klemmte er Schambecks Kopf ein. Mit diesem Tonnengewicht auf den Lungen drohte der Pathologe vorzeitig zu ersticken. Wenn er das Finale nicht mehr mitbekam, hatte er sich diesen Umstand selbst zuzuschreiben. Wer bockig ist, wird früher ins Bett geschickt. Ohne Abendbrot und ohne Schlaflied.
„Möchtest mir bestimmt in die Eier beißen. Ich wusste, dass du pervers bist. Alle Pathologen ficken mit Leichen. Soll ich deinen Kadaver auch ficken, hm? Würde dich das antörnen?“
Über die Schädeldecke laufen erstaunlich wenig Blutbahnen. Gerade genug um die Haare mit Sauerstoff und Energie zu versorgen. Schambeck blutete kaum, als Christoffer seine Fontanelle aufsägte. Knochensplitter spritzten schaumig auf die Kissen wie erdbeerfarbene Gischt. Unter ihm begann der Pathologe konvulsivisch zu zucken. Ein Auge geschlossen, das andere fixierte seinen Peiniger. Es würden die letzten Bilder sein, die es mitnahm. Bevor Schambeck in die Hölle einfuhr.
„Hirn für den Meister!“
Christoffer griff zur wie einer Eiskelle gebogenen Hirnzange. Schambeck lag in den letzten Zügen. Noch lebte er. Dann zog Christoffer sein Hirn heraus. Ein roter Strang hing daran wie der Kabelbaum eines Mittelklassewagens, letzte Muskelverbindungen zur Wirbelsäule. Schnalzend gab er nach. Christoffer sah auf die Uhr. Schambecks Todeskampf hatte zwei Stunden gedauert. Selbst den Rindern im Schlachthof hatten sie mehr Sanftmut erwiesen. Denen hatte er schnell einen mit dem Bolzenschussgerät verpasst, genau zwischen die Augen. Kein Tier hatte jemals so gelitten wie Pathologe Wilfried Schambeck, Gott sei seiner Seele gnädig.
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