Textausschnitt von "Kaltfleisch II - Vergorene Liebe"
Die Kellertreppe war schmaler als das übrige Treppenhaus. Eine regelrechte Hühnerleiter aus Waschbeton. Leicht hätte sich ein ungeübter Hausbewohner den Hals brechen können. Jens hielt sich am Geländer fest, während er den Abstieg wagte. Aus dem dunklen Schlund kam ihm der infernalische Atem einer Bestie entgegen, die schon lange tot sein musste. Jedenfalls dem Geruch nach zu urteilen.
„Puh!“
„Eau de Chanel ist es jedenfalls nicht. Los, weiter.“
Jens folgte ihr, ohne weitere Fragen zu stellen. An den Wänden bröckelte der Putz. Staubige Glühbirnen lieferten ein schwach flackerndes Licht. Ihr Gesicht in Schatten gehüllt, barg dunkle Geheimnisse. Er folgte ihr, als der Korridor eine Abzweigung machte. Hinter der grau gestrichenen Brettertür erwartete ihn eine Wartekammer verstaubter Erinnerungen. Regale voller Einmachgläser, die Hälfte davon nur noch eine schwarze Brühe; die Ernte vieler Sommer verdorben. Halb verrottete Kartons ergossen einen grauen Brei, der aus wichtigen Schriftstücken oder alten Zeitungen bestand. Dominiert wurde der Raum von einem Lattenverschlag, von dem ein erdiger Geruch ausging. In Jens Erinnerung wurde ein Fenster aufgestoßen. Mutter hatte in so einem Ding ihre Kartoffeln eingelagert, bevor der Winter kam. Jeden Sonntag hatte er in den Keller gemusst, um einen alten Flechtkorb zu füllen. Er hatte diesen Geruch geliebt. Hier allerdings waren die Kartoffeln umgeschlagen, es roch sauer. Dazu genügte schon eine faule Knolle. Meistens waren die oberen Schichten noch zu retten. Aber man durfte nicht zu lange warten.
„Ist das dein Keller?“
„Ne, der gehört dem alten Mann aus dem ersten Stock.“
„Und wenn er nun herunterkommt?“
„Nun, zu einem guten Spiel gehören auch Spannung und Nervenkitzel.“
Plötzlich ging das Licht aus. Der durchdringende Geruch wurde stärker. Jens fühlte sich in einem Grab gefangen. Die Wände pulsierten wie ein krankes Herz, man hatte ihn lebendig begraben. Pochen in den Schläfen, Jens bekam einen klaustrophobischen Anfall. In der Dunkelheit konnte er hören, wie Knöpfe klimperten. Ein Reißverschluss wurde aufgezogen. Mutter, bist du wirklich tot? Oder hast du mich gefunden, in meiner schwächsten Stunde? Eine schwammige Hand legte sich auf seine Brust. Tanzte auf der Haut wie Spinnenbeine, und fuhr tiefer. Was in seine Hose griff, war kalt und gummiartig wie die Hand einer Leiche. Jens wurde augenblicklich hart. Seiner Sinne beraubt, bestand die Welt nur noch aus den namenlosen Berührungen und dem modrigen Geruch eines Gespenst, welches im Zwischenreich verfaulte. Raum und Zeit lösten sich auf. Jens befand sich im Schlund der Erde, allein mit Mutter.
„Komm her, mein Sohn...“
Er hatte sie gefunden, die warme Stelle. Der Schleim der Toten, der Schleim der Lebenden.
„So ist es gut Junge, mach weiter.“
Wie eine Nacktschnecke hatte sie sich an ihm festgesogen. Saugte. Pumpte.
„Oh ja, das hat Mami gern.“
Er schrie, um die Dämonen der Vergangenheit zu vertreiben. Und weil seine Lenden sich in weißglühenden Stahl verwandelten.
„Mensch, kannst du nicht ein bisschen leiser sein? Dich hört man bis in die Backstube!“
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