Leseprobe aus "Nippler"


Jonathan hatte einen Traum. Er stand am großen Nähtisch in der Fabrik. Außer ihm war niemand da. Kristalle blühten an den Fensterscheiben. Die eisige Luft verhärtete seine Nippel. Vaters Stimme lag wie Firnis über dem Bild.
„Ein Nippler muss tun, was ein Nippler tun muss. Nimm sie dir mein Junge. Sie gehören dir.“
Auf dem Boden lagen dutzende Frauenleichen, die Glieder ineinander verkeilt wie Mikadohölzer, manche davon zersplittert. Das gebrochene Augenweiß starrte zur Decke.
„Nein, Vater, nein!“
Auf dem Tisch konnte er Schnittmuster für einen Büstenhalter erkennen. Dutzendfach hatte er die Grundmodelle als kleiner Bub gemalt, und der ratlosen Kindergärtnerin in die Hand gedrückt. Nun trug Jonathan das schartige Messer aller Fanatiker und Sich-im-Recht-Fühler dieser Welt. Er hatte ihnen die Haut abgezogen. Ihre Brüste glichen geschälten Blutorangen in der Auslage des Feinkosthändlers.
„Spezialitäten aus heimischen Stuben und Übersee. Greift zu ihr Leut, greift zu.“
Als er aufwachte, waren seine Nippel knallharte Morgenlatten unter der Steppdecke. Er hatte ins Bett gemilcht. Schon wieder. Diese feuchten Träume verfolgten ihn.

*

Tage später fand Vater ihn pfeifend in der Fabrik. Jonathan lieh sich Würfelzucker für seinen Kaffee bei den Näherinnen. Auch sonst machte er gemeine Sache mit dem einfachen Volk. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Entweder begehrte er gegen die Klassennorm auf, oder er führte schäbige Hintergedanken. Am Ende trieb er gar Schabernack, und lachte hinter ihrem Rücken.
„Warum so fröhlich?“
„Ich bin mit einer guten Idee aufgewacht.“
„Ohne sie mit der Geschäftsleitung zu besprechen?“
„Drauf geschissen.“
„Du wagst es so mit deinem Vater zu sprechen? Und noch dazu vor den Angestellten?“
„Da lernt man Demut und Respekt, was?“
„Ich gehe zum Notar. Ich lasse deinen Erbanteil prüfen.“
„Tu was du nicht lassen kannst.“
Die neue Aufmüpfigkeit stand Jonathan gut zu Gesicht. Er hatte eine Offenbarung erfahren, wie sie sonst nur Jungpriester und Selbstmordattentäter kannten. Die einen wandten sich der Knabenliebe zu, die anderen belebten Marktplätzen. Zum ersten Mal spürte Nippler Senior Angst vor dem Generationswechsel. Jonathans Babyspeck schmolz wie Butter unter den altmodischen Natriumdampflampen. Wolfgang Nippler wollte auf LED umstellen, Angebote lagen im Haus. Er zögerte, weil er nichts Funktionierendes auf den Müllhaufen der Geschichte werfen wollte. Dies widersprach all seinen Prinzipien, auch wenn er bares Geld damit sparte. Deutschland war nicht nur Exportweltmeister, auch bei den Strompreisen gab es den Takt vor.

*

Er skizzierte den groben Entwurf auf Seidenpapier. Schnitt die Stücke mit der Schere aus, und übertrug ihre Kanten mit blauer Kreide auf billigen Baumwollstoff, den sie zu Übungszwecken verwendeten. Das Papier faltete er sorgfältig zusammen, und schob es zwischen die Seiten seines Musterbuchs. Diese Modelle würden keine Vitrinenspots der Messehalle erblicken.
„Was tust du da?“
Eine junge Näherin mit pickligem Durchschnittsgesicht musterte seine Arbeiten. Der Sohn vom Chef ließ sich selten hier blicken. Zur Kreide hatte er noch nie gegriffen.
„Streng geheim.“
„Kann ich dir helfen?“
Die Gegenwart von Frauen machte Jonathan schnell nervös. Selbst die hässlichen. Wer drückt dir den Pickel aus? Wer drückt mir den Pickel aus?
„Nein danke, ich komme zurecht.“
„Du hast hier einen Fehler gemacht. Du müsstest für den Schultergurt mindestens zehn Millimeter Nahtzugabe einrechnen.“
„Ich arbeite selten mit freien Schnitten.“
„Wir Näherinnen setzen am Schneidetisch um, was die Kreativabteilung am Reißbrett erstellt.“
Dankbar ließ er sich helfen. Knüllte die Baumwolle zusammen, und arbeitete großzügiger. Die Mädels hatten ja recht. Jonathan war ein Theoretiker, herabgestiegen aus Vaters Büro mit den grünen Ledersesseln, um es den Arbeiterinnen zu zeigen. Die von morgens bis abends Büstenhalter ausschnitten. Die die Laufstege der Welt mit handgefertigtem Luxus belieferten. Unten in der Halle nähten automatische Maschinen Massenware für die Kaufhauswühltische, vom ersten Stoffballen bis zum fertig verpackten Mieder.
„Du hast den Bogen raus.“
Jonathan beantwortet die forsche Ghettofaust mit straff gespannten Fingerknöcheln. Er war nie Teil einer Jugendkultur gewesen. Stand außen vor, während Andere sich munter durch die Botanik vögelten. Hauptsächlich wollte er sich selbst etwas beweisen. Dass ein echter Kerl in ihm steckte, und kein tuntiger Damenschneider. Er testete in Stoff, was später Menschenleder würde. Jonathan durfte sich keine Fehler erlauben.

Darf es eine Handvoll mehr sein? Dann spiel an deinem Ebook-Nippel, oder steck deine harte Brustwarze als Lesezeichen ins Taschenbuch. Milch den Tolino voll...

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