Ausschnitt aus "Abschusszeugnis"


Achims Maske begann zu bröckeln. Wie eine schlecht gefertigte Tonglasur zeigte sie R|i|s|s|e an den Rändern, wo sie auf seinem Gesicht saß. Der Alltags{:Achim, der war nur auf//gesetzt. Er konnte kaum sagen, was es war. Offensichtlich wollte sein Vater ihn ein wenig aufheitern. Als ahnte er, dass auf der Klassenfahrt etwas fundamental schiefgegangen war. Achim hatte sich unerwartet schroff darüber ausgeschwiegen. Das wäre ja nichts Neues gewesen. Dieses Mal aber schien die Stille lauter zu sein. Klaus Schneider nahm seinen Sohn mit in den Schützenverein. Bisher hatte das seine Laune immer aufgebessert. Und wirklich, in den Augen seines Sohnes tauchte ein F*u*n*k*e*l*n auf, wie es nur Freude ausdrücken konnte.
Achim hatte Mühe, sich selbst wahrzunehmen. Wie sollte er da die Eindrücke im Vereinshaus auf seiner |internen Liste| abhaken? Die bierseligen Gesichter der Alteingesessenen, die ihm zuwider waren. Jungen in seinem Alter gab es kaum. Einmal war ihm der picklige Jonas über den Weg gelaufen, Sohn des Apothekers im Einkaufszentrum. Nicht, dass er ihm sympathisch gewesen wäre. Die altgediente Faustregel, dass Außenseiter sich untereinander ver{bünden, da sie ja nichts gegen die Welt haben als sich=selbst, konnte hier keinen Fuß fassen. Jonas war mehr der Seiten//scheitel=!Typus, wie er in solch jungen Jahren selten anzutreffen ist. Brav, kariert & stapelbar. Waschbar bis 90 Grad ohne auszubluten. Der brave, angepasste Sohn. Achim konnte ihm nur peripher in seiner Lebensweise zustimmen. Seine Anpassung war die äußere {Hülle}, die er ihnen zu zeigen wagte. In Jonas Fall ging es der Materie tiefer an die Wurzel. Jonas war wirklich bis in seine Grundfesten so gewöhnlich & angepasst. Achim empfand tiefe Abscheu für ihn.
Er stellte seine Cola auf dem schmalen Grat aus s[p[l[i[t[t[e[r[n[d[e[m Resopal ab, der die Fensterfront zur Schießanlage zierte. Sein Vater konnte ihn nicht mehr hören; seine Ohren steckten tief im Schaumstoff der schalldämpfenden Kopfschützern.
Vor seinen Augen verschwamm die Zielscheibe, verfestigte sich, wurde wieder unscharf. (Die (roten (Kreise breiteten sich im gleichen Maß mit seinen Kopfschmerzen aus, nahmen den ganzen Raum seines Sichtfelds ein. Er musste blinzeln, um wieder klare Sicht zu gewinnen. Als er die Augen öffnete, blickte er in das selbstgefällige Gesicht von Andrej. Das Schwein, was seine zentrale Demütigung erst organisiert hatte. Ohne lange nachzudenken, legte Achim die Pistole an, und feuerte in die verhasste=Visage. Andrejs Gesicht zerfloss wie Eiskrem in der Sonne, verwandelte sich in Kai, der ihn festgehalten hatte. Dann zu Cindy, die ihn ausgelacht hatte. Nun vollkommen in Panik, schoss er blindlings auf die Gesichter ein, die ihn verfolgten. Noch im Tode verhöhnten sie ihn, zerflossen vor seinen Kugeln, als wollten sie seinem Zugriff entfliehen. Nur weiter so, die Masken ab. Dann der Schreck, als er in seine eigenen trüben Augen blickte. Nur mit Mühe unterdrückte er einen Aufschrei. Ballerte eine Fratze nach der anderen ab, bis nur noch ein leeres[ ]Klicken kam. Es dauerte einen Moment, bis er begriff: Sein Magazin war leer.
„Alles in Ordnung mit dir?“
„Entschuldigung. Ich habe mich da wohl in etwas hinein:=gesteigert.“
„Geht mir manchmal auch so. Vielleicht sollten wir mal zur Fuchsjagd gehen?“
„Gerne.“
„Du warst treffsicherer denn je. Hast du über die Schulter gezielt?“
„Nein. Direkt über die Hand. Ich habe nicht wirklich hingesehen.“
„Beachtlich, beachtlich.“
Achim hielt die Spannung. Seiner Haut, die wie Pergament über den Knochen hing. Hielt sie auf gleicher Höhe mit der Welt. Metrisierte bereits wieder seine Wut, die ihn z;i;t;t;e;r;n gemacht hatte. Wahre |Betonblöcke| press!ten unermüdlich die Luft aus seinen Lungen, zerrieben seine nichtige Existenz zu Staub. Nichts von alledem ließ er sich anmerken.
„Ich geh mal kurz aufs Klo.“
Kaum war die Kabinentür krach!end ins=Schloss gefallen, brach das Schluchzen aus ihm heraus wie eine Naturgewalt. Kein Laut drang über seine Lippen. Er, der es gelernt hatte, seinen Kummer lautlos |in sich| zu behalten. Wie einen Niesreflex, bei dem man sich nicht zu schneuzen traut. Wie bei einem Juckreiz, wo man seine Hände bei sich behält. Weil es sich nicht schickte. Weil die ganze festliche Gesellschaft einen ausschloss, sobald man Gefühle zeigte. Seine Seele als der stachel{bewehrte Handschuh, den er nach innen stülpte. Die eiserne Jungfrau war in jeglicher Hinsicht eine bittere Erfahrung.
Bevor er die piefige Toilette verließ, die im Stil der späten Siebziger trostlos-braun ausgekachelt war, unterzog er sein Gesicht im fleckigen Spiegel einer strengen Untersuchung. Schüttete eine Handvoll kaltes Wasser in die Augen, und frottierte sich mit einem rauen Papierhandtuch. Rieb solange, bis die graue Haut wieder eine rosige Frische angenommen hatte. Von seinen Tränen blieben nicht einmal die salzigen Reste. Sammeln, durchatmen. Mit der Geste eines Dirigenten, der sein Orchester zu Ruhe bringt, strich er seine Haare glatt. Das Lächeln eines Schauspielers, er konnte stolz auf sich sein.

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