Ausschnitt aus "Das Steinfeld"
Am Abend stand Karlheinz im Bad, wo er sich die Zähne putzte. Sie alle hatten sich verändert. Wenn er in den Spiegel sah, konnte er die Milchstraße der Pickel und Mitesser sehen, die sich durch sein Gesicht schlängelte. Entstanden waren sie binnen weniger Tage, genauso wie Rainer und Bärbels frisch aufkeimende Sexualität. Der Steinkreis brachte ihre Hormone durcheinander, zerrte sie im Expresstempo durch die Pubertät. Was aber tat er ihnen noch an? Karlheinz schwor sich, das Rätsel des Kreises zu lösen, und wenn es ihn das Letzte kosten würde. Er spuckte aus, wie um den Mächten, deren Spielball sie geworden waren, zu trotzen. Hielt sein Gesicht unter einen Schwall kalten Wassers, prustend wie ein Hund.
Als er den Kopf erhob, sah ihm von der anderen Seite des Spiegels aus ein alter Mann entgegen. Die Deckenleuchte begann zu flackern, offensichtlich ging es mit der Glühbirne dem Ende zu. Mit zitternden Fingern berührte er die glatte Oberfläche des Spiegels, ohne dass der alte Mann ihm die Bewegung gleichtat. Die Haare, von Silberfäden durchzogen, wurden im Nacken von einem Stück Leder zusammengehalten. Sein Bart war bereits zur vollen Gänze ergraut. Um den Hals trug er eine Kette aus Tierknochen. Wie alt mochte er sein? Vierzig? Fünfzig? Die damalige Zeit verschliss die Menschen schneller als die heutige. Sein Blick traf fest auf den von Karlheinz, dem die Beine weich wurden. Augen, die so tief in ihren Höhlen lagen, als hielte nur das Netz von Falten sie an ihrem Platz. Doch das Feuer, das in ihnen loderte, schien lebendig. Sie-
hatten damals keine Spiegel besessen. Als Ersatz diente eine Schale mit Wasser oder eine polierte Bronzescheibe. Beide lieferten eher unscharfe Ergebnisse. Die einfachen Leute jedoch konnten sich diese kunstvoll gearbeiteten Scheiben kaum leisten. So griffen sie auf Wasserschalen zurück oder begnügten sich damit, nur von den Anderen gesehen zu werden. Ging es denn doch auch nicht besser. Onulf staunte über die Wunderwerke moderner Technik.
Karlheinz blickte nervös hinter sich, doch auch dort konnte er den alten Mann nicht ausmachen. Er schien nur im Spiegel zu existieren. Langsam öffnete und schloss dieser den Mund, als wollte er Worte formulieren, die es nicht durch die dünne Quecksilberschicht schafften. Er klopfte gegen den Spiegel, wie um seinem Gefängnis zu entkommen. Erste Risse zeigten sich. Wenn er noch lange so weitermachte, würde der Spiegel springen und ihre Verbindung abbrechen. Oder noch schlimmer: Der Andere in einem Regen aus silbrig glänzenden Scherben durch das kleine Fenster in der Wirklichkeit treten, welches sich über dem Waschbecken aufgetan hatte. Panische Angst nahm Karlheinz Wirbelsäule in Beschlag, sendete eiskalte Schauer aus, die ihm den Rücken hinunterliefen.
Begreifen in den Augen des Alten. Er hielt die Hand abwehrend hoch, wie um Karlheinz einen Moment der Geduld anzudeuten. Dann griff er behände in die Tasche seines Umhangs. Zauberte ein Stück Kohle hervor. Damit schrieb er auf die gegenüberliegende Badezimmerwand. Karlheinz drehte sich um, ob auch auf dieser Seite die Worte zu sehen waren, doch er wurde enttäuscht. Was im Spiegel war, blieb im Spiegel.
Zuerst verstand er die seltsamen Runen nicht, die Onulf auf die Tapete schmierte. Auch lag es daran, dass er die seltsamen Worte nur in Spiegelschrift lesen konnte. Er griff zum Schminkspiegel seiner Mutter, den er sich neben den Kopf hielt. Nun konnte er in seinem Rund die Worte erkennen. Er hatte sie schon einmal gelesen (und geschrieben). Vor Anstrengung legte er die Stirn in Falten. Als seine Erinnerung sich lichtete, konnte er entziffern, was in der Steinsprache geschrieben war. Es lautete Mahingar. Plötzlich brannte eine der beiden Glühbirnen durch, die den Raum zuvor in ein flackerndes Licht getaucht hatte. Dafür gewann die zweite ihre volle Leuchtkraft zurück. Die Sprünge im Spiegel liefen zurück, als wären sie nie da gewesen. Onulf hatte ihm eine wichtige Botschaft mitgeteilt. Allerdings konnte er nichts damit anfangen. War Mahingar nun die Lösung des Problems oder deren Verursacher?
Als er den Kopf erhob, sah ihm von der anderen Seite des Spiegels aus ein alter Mann entgegen. Die Deckenleuchte begann zu flackern, offensichtlich ging es mit der Glühbirne dem Ende zu. Mit zitternden Fingern berührte er die glatte Oberfläche des Spiegels, ohne dass der alte Mann ihm die Bewegung gleichtat. Die Haare, von Silberfäden durchzogen, wurden im Nacken von einem Stück Leder zusammengehalten. Sein Bart war bereits zur vollen Gänze ergraut. Um den Hals trug er eine Kette aus Tierknochen. Wie alt mochte er sein? Vierzig? Fünfzig? Die damalige Zeit verschliss die Menschen schneller als die heutige. Sein Blick traf fest auf den von Karlheinz, dem die Beine weich wurden. Augen, die so tief in ihren Höhlen lagen, als hielte nur das Netz von Falten sie an ihrem Platz. Doch das Feuer, das in ihnen loderte, schien lebendig. Sie-
hatten damals keine Spiegel besessen. Als Ersatz diente eine Schale mit Wasser oder eine polierte Bronzescheibe. Beide lieferten eher unscharfe Ergebnisse. Die einfachen Leute jedoch konnten sich diese kunstvoll gearbeiteten Scheiben kaum leisten. So griffen sie auf Wasserschalen zurück oder begnügten sich damit, nur von den Anderen gesehen zu werden. Ging es denn doch auch nicht besser. Onulf staunte über die Wunderwerke moderner Technik.
Karlheinz blickte nervös hinter sich, doch auch dort konnte er den alten Mann nicht ausmachen. Er schien nur im Spiegel zu existieren. Langsam öffnete und schloss dieser den Mund, als wollte er Worte formulieren, die es nicht durch die dünne Quecksilberschicht schafften. Er klopfte gegen den Spiegel, wie um seinem Gefängnis zu entkommen. Erste Risse zeigten sich. Wenn er noch lange so weitermachte, würde der Spiegel springen und ihre Verbindung abbrechen. Oder noch schlimmer: Der Andere in einem Regen aus silbrig glänzenden Scherben durch das kleine Fenster in der Wirklichkeit treten, welches sich über dem Waschbecken aufgetan hatte. Panische Angst nahm Karlheinz Wirbelsäule in Beschlag, sendete eiskalte Schauer aus, die ihm den Rücken hinunterliefen.
Begreifen in den Augen des Alten. Er hielt die Hand abwehrend hoch, wie um Karlheinz einen Moment der Geduld anzudeuten. Dann griff er behände in die Tasche seines Umhangs. Zauberte ein Stück Kohle hervor. Damit schrieb er auf die gegenüberliegende Badezimmerwand. Karlheinz drehte sich um, ob auch auf dieser Seite die Worte zu sehen waren, doch er wurde enttäuscht. Was im Spiegel war, blieb im Spiegel.
Zuerst verstand er die seltsamen Runen nicht, die Onulf auf die Tapete schmierte. Auch lag es daran, dass er die seltsamen Worte nur in Spiegelschrift lesen konnte. Er griff zum Schminkspiegel seiner Mutter, den er sich neben den Kopf hielt. Nun konnte er in seinem Rund die Worte erkennen. Er hatte sie schon einmal gelesen (und geschrieben). Vor Anstrengung legte er die Stirn in Falten. Als seine Erinnerung sich lichtete, konnte er entziffern, was in der Steinsprache geschrieben war. Es lautete Mahingar. Plötzlich brannte eine der beiden Glühbirnen durch, die den Raum zuvor in ein flackerndes Licht getaucht hatte. Dafür gewann die zweite ihre volle Leuchtkraft zurück. Die Sprünge im Spiegel liefen zurück, als wären sie nie da gewesen. Onulf hatte ihm eine wichtige Botschaft mitgeteilt. Allerdings konnte er nichts damit anfangen. War Mahingar nun die Lösung des Problems oder deren Verursacher?
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